Alte Hohlwege in Rheinbreitbach

Wandert man von der Rheinbreitbacher Breiten Heide, bergan am Virneberg vorbei in Richtung Osten, so stößt man auf eine Vielzahl alter Gräben die stellenweise mehrere Meter tief den Hang durchschneiden. Auf den ersten Blick kann man sich die Bedeutung nicht erklären, kürzlich sind jedoch in einem dieser Gräben tief ausgefahrene Karrenspuren entdeckt worden und man kommt so langsam darauf, dass es sich um ehemalige Hohlwege und damit um Zeugnisse von jahrhundertelangem Transportverkehr von Rheinbreitbach in den Westerwald handelt.

Ausgefahrende Karrenspuren in Fels
Ausgefahrende Karrenspuren in Fels


Besonders interessant ist ein Stück des stellenweise über 4m tiefen Virneberger Hohlweges, dass am Wasserhoch-behälter des heutigen Ortsteils Breite Heide beginnt. Die hier im Frühjahr 2003 entdeckten parallelen Karrengleise sind bis zu 30cm tief. Da die Spur entsprechend der Felsbeschaf-fenheit mehr oder weniger tief verläuft, kann man davon ausgehen, dass sie durch Abnutzung entstanden ist. Auch die Tatsache, dass die seitlichen Flanken des Hohlweges an mehreren Stellen senkrecht über der Spur glatt abgeschlif-fen wurden, stützt diese Erkenntnis. Vermutlich durch die Radnaben entstand hier dann auf einer Höhe von ca. 80cm ein Absatz. Die Räder müssten demnach mindestens 1,60m hoch gewesen sein. Von den heute noch bekannten flachen Eisenreifen auf den Holzrädern wäre die Spur im Boden breiter und winkeliger ausgefahren worden. Die Gefährte, die den Weg befahren haben, müssten also schmale hohe Räder mit runden Eisenreifen gehabt haben. In der Mitte ist noch eine weniger tief ausgefahrene dritte Spur zuerkennen. Sie stammt vermutlich von einrädrigen Schürreskarren und verläuft nicht exakt parallel. Sie dürfte auch von einer jüngeren Nutzungsphase als Fußweg herrühren.

Über das Alter der Wege kann man lediglich Vermutungen anstellen, da schriftliche Quellen nur selten und wenn nur beiläufig über die damaligen Wegeverbindungen berichten. Die Besiedlung unserer Heimat vor vielen Jahrhunderten (Fränkische Zeit, ca. 500 n.Chr.) zog auch automatisch die Verbindung der Ortschaften durch Verkehrswege mit sich. Neben den kleineren Fuhrwegen zwischen Dörfern gab es auch damals bereits Fernverbindungen über die Höhen zwischen den wichtigsten Städten. Ein naheliegendes Beispiel ist hierfür die heutige B8 als Verbindung zwischen Köln und Frankfurt.

Ausschlaggebend waren meist wirtschaftliche Faktoren. Wege entstanden häufig dort wo Handelswaren, Rohstoffe oder Versorgungsgüter transportiert werden mussten. Von den meisten rechtsrheinischen Orten unserer Region führten Fuhrwege in den Westerwald, es wurde reger Handel mit Landesprodukten geführt. Von den Feldern der Höhen musste zum Beispiel das Getreide zu den Mühlen an den stärkeren Bachläufen transportiert werden, das Mehl nahm dann den umgekehrten Weg. Der Wein unserer Region wurde in die Gebiete transportiert in denen kein Weinbau möglich war. Die Produkte der Niederwaldwirtschaft in den mittelhohen Hanglagen, Holz, Lohe (Eichenrinde), Rahmhölzer, und Holzkohle, musste zu Tal befördert werden. Aus den Steinbrüchen wurden über sogenannte Karrenwege die Gesteine zum Häuserbau in die Ortschaften geschafft.

An ehemaligen Bergwerken findet man häufig eine Bündelung von alten Fuhrwegen da sie für Wirtschaft- und Handel bedeutsam waren. Diese Wege sind speziell am Rheinbreitbacher Virneberg sehr ausgeprägt. Es mussten Baustoffe wie Steine und Holz, Maschinen, Brennmaterialien und Zuschlagstoffe für die Schmelzhütten in größeren Mengen angefahren und Erze sowie Metallerzeugnisse abtransportiert werden. Die Bergleute benötigten Lebensmittel, Werkzeuge und Arbeitsbekleidung. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde am Virneberg wegen der großen Zahl der Knappen ein jährlicher Markt abgehalten und der Bergwerksbesitzer Clouth beispielsweise betrieb Handel mit seinen Bergleuten. Allesamt Faktoren die Transportverkehr mit sich zogen. Die Erze wurden nicht immer vor Ort verhüttet, sondern zeitweise über weitere Strecken befördert. Dies erledigten berufsmäßige Fuhrleute. Oft war man tagelang unterwegs und um sich vor Räuberbanden besser zu schützen fuhr man in kleinen Wagenkolonnen.

Die ältesten Wege waren unbefestigte Naturwege, sie verliefen bevorzugt über die waldarmen und trockenen Höhenrücken die als Wasserscheide wirkten. Die engen und gewundenen Täler mit den Bachläufen und Flüssen wurden wegen ihrem feuchten und sumpfigen Untergrund gemieden. Die dann doch notwendigen Verbindungen führten meistens über einen auslaufenden Höhenrücken auf geradem Wege steil zu Tal. Kehren oder Windungen, wie bei unseren modernen Strassen, gab es damals nicht. Im Mittelalter befanden sich die Strassen in einem katastrophalen Zustand, da sich niemand für deren Unterhaltung und Ausbesserung zuständig fühlte. Bei schlechter Witterung waren die Wege oft über Monate nicht befahrbar.
Die Hufe der Zugtiere und die eisenbeschlagenen Räder der Karren und Wagen rissen die natürliche Strassendecke ständig auf. Bergauf mussten die Tiere kräftig antreten um die Wegeabschnitte mit starken Steigungen zu bewältigen, bergab wurden die schwerbeladenen Fuhrwerke häufig so stark abgebremst, dass die Räder blockierten. Bei Unwettern und Wolkenbrüchen schwemmten dann die entstehenden Sturzbäche das lockere Erdreich davon. So wurden die Wegetrassen immer tiefer eingeschnitten und es entstanden die sogenannten Hohlwege. Im relativ weichen Lößboden vertieften sich die Hohlwege jährlich um ca. 10cm. Im felsigen Schluffstein unserer Hänge werden es nur wenige Zentimeter gewesen sein. Bei einer Tiefe von stellenweise über 4,0 Meter kann man sich leicht ausrechnen, dass die Wege über Jahrhunderte benutzt worden sein müssen. Die Spurrillen durch die Räder vertieften sich an manchen Stellen so sehr, das die Achsen auf der entstehenden Erhöhung in der Mitte aufsetzten. Dieser Zwischensteg musste dann zwangsläufig abgetragen werden. Waren die Wege dann so tief geworden, dass sie unpassierbar waren, wurde unmittelbar nebenan eine neue Fahrspur angelegt. Bei vielbefahrenen Steilstrecken wiederholte sich dieser Vorgang immer wieder, so das regelrechte Hohlwegebündel entstanden.

Hohlweg
Hohlweg

Über den gesamten Höhenrücken des Rheinbreitbacher Virneberges findet man Spur neben Spur. Besonders interessant ist ein tief im Schluffstein ausgefahrener Hohlweg der stellenweise über 4,0m tief ist und sich auf einer Länge von über 900m verfolgen lässt.

Da die Wege meist nur unwesentlich breiter als die Fuhrwerke waren (ca. 1,60 – 1,80m), war das Befahren auch sehr gefährlich. An schwierigen Stellen mussten die Fuhrleute häufig neben Ihren Wagen herlaufen und Tiere führen. Bei einem Sturz kam es dann oftmals durch Überfahren zu tödlichen Unfällen. Das „Schnitzler-Kreuz“ am „Taubenrott-Weg“ in Rheinbreitbach erinnert an einen solchen tragischen Unfall.
Man muss sich auch wohl einmal vor Augen halten, was abgelaufen ist, wenn sich zwei Fuhrwerke in den schmalen, teils mehrere hundert Meter langen Hohlwege begegneten. Bei der geringen Verkehrsdichte wird es damals noch keine Einbahnstraßenregelung gegeben haben, und es könnte öfters zu einem wortgewaltigen Spektakel gekommen sein, um einen „Kontrahenten“ zum schwierigen Zurücksetzten zu bewegen.

In der Landwirtschaft kamen größere, einachsige „rheinische Schlagkarren“ zum Einsatz. Für den Gesteintransport im Wald wurden wahrscheinlich kleinere Schlagkarren verwendet. Für den Holz­transport nahm man längere zweiachsige Fuhrwerke. Zugtiere waren meist Pferde, seltener Ochsen oder auch „Fahrkühe“. Dazu kamen von Hand gezogene kleinere Leiterwagen und, wie an manchen Stellen eine dritte mittige Spurrille im Felsboden verrät, einrädrige Schürreskarren.

Ab dem 18. und 19. Jahrhundert entwickelten sich langsam die ersten befestigten Strassen die vornehmlich durch die Täler führten. Die feste Fahrbahndecke und geringere Steigungen ermöglichten eine bequemere Fortbewegung, die alten Wege verloren mehr und mehr ihre Bedeutung. Die preußische Landesverwaltung bemühte sich um den Ausbau neuer Strassen, allerdings standen nur beschränkte finanzielle Mittel hierfür zur Verfügung. Mit dem aufkommen des Autoverkehrs erfolgte dann ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts ein umfangreicher Neubau von Strassen und Ortsanbindungen.

„Durch diese hohle Gasse muss er kommen“ heißt es schon in einem alten Schiller-Zitat. Außerhalb der Siedlungs- und Ackerflächen sind die alten Hohlwege in den Wäldern erhalten geblieben und bisher durch das Wachstum der Natur nur wenig verändert worden. Die heutige moderne Forstwirtschaft mit ihren schweren Rückmaschinen fordert bedauerlicherweise an manchen Stellen ihren Tribut. Die Gräben der Hohlwege sind noch oft zu finden und bereits vielerorts in Deutschland als Zeugen früherer wirtschaftlicher Verkehrsverbindungen unter Schutz gestellt. Auch das Hohlwegesystem östlich des Rheinbreitbacher Virneberges ist im Frühjahr 2004 von der Unteren Denkmalschutzbehörde in Neuwied zur Denkmalzone erklärt worden. Am Schutz und Erhalt des archäologisch und landesgeschichtlich bedeutenden Geländes besteht aus wissenschaftlichen und denkmalpflegerischen Gründen ein öffentliches Interesse. Es ist ein für die Forschung und für das Geschichtsbewusstsein wichtiges Geländemerkmal.

Wünschenswert wäre es Stücke der alten Wege wieder fußläufig begehbar zu machen. Wandern ist in unseren Tagen wieder sehr beliebt, und gerade die alten und tiefen Hohlwege vermitteln beim Durchschreiten ein ganz besonderes Erlebnis.

Jürgen Fuchs, Rheinbreitbach, März 2004